Weserkurier

Kreiszeitung /  22.11.2012 / Bremen
Von Thomas Kuzaj

Die „Wartestelle“ am Güterbahnhof ist ein Haltepunkt ohne Bahn und Bus

Kein Zug nach nirgendwo

Wohin soll die Reise gehen? Eine Frage, die sich an den meisten Haltestellen gar nicht stellt, weil ohnehin klar ist, wohin Bahn und Bus fahren sollen. In Bremen gibt es jetzt eine Haltestelle, bei der das anders ist. Denn an dieser Haltestelle halten keine Bahnen und keine Busse.

. . .und der Zug rauscht vorbei. Und die Zeit ebenfalls – während das Auto parkt: Blick auf die „Wartestelle“ am Güterbahnhof in Bremen. ·© Foto: Kuzaj

. . .und der Zug rauscht vorbei. Und die Zeit ebenfalls – während das Auto parkt: Blick auf die „Wartestelle“ am Güterbahnhof in Bremen.

Hier kann man nur warten, und deshalb heißt das hölzerne Häuschen in charakteristischer Haltestellenform ja auch „Wartestelle“. Die „Wartestelle“ steht auf dem Parkplatz des Güterbahnhofs und ist – ein Kunstwerk. Die Installation der Bremer Künstler Fita Chagas und Kornelia Hoffmann soll, so die Auskunft aus der Kulturbehörde, etwa vier Jahre auf dem Parkplatz bleiben. Vier Jahre – eine lange Wartezeit. Vor allem, wenn keine Bahn kommt. Hier fährt kein Zug nach nirgendwo.

Aber darum geht es ja gerade. Das Kunstwerk dringt ein in einen Alltag, der vom Funktionieren geprägt ist. Hier aber soll gar nichts funktionieren. Jedenfalls nicht das, was an und von einer Haltestelle erwartet wird. Das kann irritieren.

Das Kunstwerk dringt ein in einen Alltag, der einerseits von Hektik geprägt ist („Ich muss die Bahn noch kriegen!“) – und andererseits von einem geradezu zwanghaften Warten („Der Bus kommt nicht!“). Warten an der Supermarktkasse. Warten beim Arzt im – genau! – Wartezimmer. Warten auf den Besuch, auf das Ende des Spiels und darauf, dass das Computerprogramm endlich so funktioniert, wie es soll.

Das Warten also ist Teil des Alltags, es gehört zu ihm, und wer sich der Warterei mit leidenschaftlicher Geduld hingibt, der kann auch den meditativen Aspekt des Wartens spüren. Zum Beispiel an der „Wartestelle“. Wer hier Platz nimmt, der muss sich auch Zeit nehmen. Es passiert ja nichts. Oder?

Eine Sitzbank gibt es, wie es sich für eine Haltestelle gehört. Bei unserem Besuch gestern war sie frei. Niemand wartete. Wer hier nicht wartet, kann aber durchaus etwas verpassen. Nicht gerade eine Bahn oder einen Bus. Aber zum Beispiel den Blick auf ein Schild, das an einer Wand der „Wartestelle“ hängt. Aufschrift: „An den Pflock des Augenblicks gebunden – in kleinen bewusstlosen Ewigkeiten – Luftschlösser bauen.“ Man könnte jetzt anfangen, sich darüber Gedanken zu machen.

Man kann aber auch gucken, was vor der „Wartestelle“ so passiert. Schranken öffnen und schließen sich. Güterzüge und Regio-S-Bahnen rauschen vorbei. Güterzüge können sehr lang sein. Müll liegt in der Gegend herum, Flaschen, Splitter, Papier. In einem Nachbargebäude werden Trommel- und Flamencokurse angeboten. Zeitvertreib. Bäume verlieren ihre Blätter und werden wieder grün, Kinder werden groß, Männern wachsen Bärte. Nein, nein, so lange muss man ja nicht warten. Aber eine kleine Auszeit vom Alltag kann sie schon sein, die Warterei an der „Wartestelle“. Wenn man sich denn die Zeit dazu nimmt.

Zum „aktiven Warten“, wenn es so etwas denn gibt, soll die „Wartestelle“ einladen, hieß er vor ihrer Eröffnung. Einen „Reflexionsort“ wollten die Künstler schaffen. Das Ziel dieser Reise, es ist das Warten an sich.

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